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Wenn Historiker das Ende des Mittelalters und den Beginn der Neuzeit mit einem Datum kennzeichnen wollen, erscheint Christoph Columbus’ Reise in die Neue Welt im Jahre 1492 eine sinnvolle Wahl. In der britischen Geschichtsschreibung besteht die Gepflogenheit, das Jahr 1485 zu nennen; denn in diesem Jahr wurde der so genannte Rosenkrieg, die lange Fehde zwischen den Häusern York und Lancaster im Königshaus der Plantagenets, zu einem Ende gebracht, als Richard III., der letzte Plantagenet–König, in einer Schlacht von Henry Tudor getötet wurde. Unter der neuen Tudor–Dynastie öffnete sich England der Renaissance, der Reformation und dem Entdeckungsdrang.

Doch für die westliche Insel Irland war das Jahr 1487 entscheidend…

* * *

Eine große Menschenmenge wartete draußen vor der Christ–Church–Kathedrale. »Ich wollte, wir könnten hineingehen, Vater«, sagte das rothaarige Mädchen. »Sind wir denn nicht eingeladen?«

»Natürlich sind wir eingeladen. Doch wir sind zu spät hier eingetroffen«, antwortete er lächelnd. »Jetzt kommen wir nicht mehr durch die Menschenmenge. Übrigens ist das sogar besser, denn so sehen wir die Prozession, wenn sie herauskommen.«

Margaret Rivers schaute angestrengt zur Christ Church. Ihr sommersprossiges Gesicht war ganz blass vor Aufregung, und ihre blauen Augen leuchteten. Sie wusste, dass ihre Familie bedeutend war. Sie war sich zwar nicht ganz sicher warum, aber es musste stimmen, denn ihr Vater hatte es ihr gesagt. »Und du, Margaret, wirst eine bedeutende Rolle spielen«, sagte er ihr immer wieder.

»Woher weißt du das, Vater?«, fragte sie ihn dann.

»Weil du mein besonderes Mädchen bist«, entgegnete er ihr, wie sie bereits im Voraus wusste, und eine kleine Glückswelle durchströmte sie. Sie hatte drei Brüder, die alle älter waren als sie. Mädchen und die Jüngste. Natürlich war sie sein besonderes Mädchen.

Die Nonnen behandelten ihren Vater mit größtem Respekt, wenn er das alte Kloster besuchte. Es waren nur noch sieben Schwestern dort, von denen eine taub war; doch es schien, als läge ihr Leben ganz in seiner Hand. »Wo wären wir ohne Euch?«, sagten sie immer. Ihr Vater kümmerte sich um all ihre Belange, leitete ihre weitläufigen Ländereien und beriet sie. »Wir wissen, wir können deinem lieben Vater immer vertrauen«, bemerkte eine der frommen Nonnen eines Tages zu Margaret. »Dein Vater ist ein Ehrenmann.«

Ein Ehrenmann. Ihr Haus in der Vorstadt Oxmantown unterschied sich zwar nicht von denen der einheimischen Kleinhändler, doch Margaret wusste, dass die reichen Landbesitzer in ganz Fingal und darüber hinaus auf die eine oder andere Weise zu ihrer Verwandtschaft gehörten. »Wir sind mit jeder einflussreichen Familie im Pale verwandt«, sagte ihr Vater gerne.

Der Pale: so nannte man nun die Verwaltungsbezirke um Dublin herum – ein Name, der eine unsichtbare Palisade suggerierte, die diese Region umschloss. Die Lebensbedingungen hier entsprachen so ziemlich denen des vorhergehenden Jahrhunderts. Wie in England lagen innerhalb des Pale Gemeinden und counties, in denen sheriffs, höchste Verwaltungsbeamte, königliche Steuern kassierten und Richter nach englischem Recht entschieden. Am Rande dieses Gebiets führten die marcher lords, die Gutsbesitzer im Marschland, noch immer ihr Grenzerdasein; und außerhalb des Pale befand sich die Welt des gälischen Irlands, egal ob es von irischen Stammesoberhäuptern oder großen Magnaten wie den Butlers oder den Fitzgeralds regiert wurde. Jenseits des Pale endete nach Meinung von Margarets Vater die Zivilisation. Doch innerhalb dieses Gebiets wurde die Ordnung durch Iren englischen Blutes, durch Männer wie ihn, gewährleistet: vielleicht nicht ganz das, was er gerne gewesen wäre, doch zumindest in seinen eigenen Augen und in denen der Nonnen ein englischer Ehrenmann.

Und heute bereiteten Ehrenmänner wie er in der Dubliner Christ–Church–Kathedrale den Einmarsch in das englische Königreich vor.

»Sieh doch, Vater.« Die Tore der Kathedrale öffneten sich. Waffenmänner traten heraus und drängten die Menge zurück. Ein breiter Durchgang wurde frei gemacht. Gestalten in glitzernden Roben erschienen auf der Schwelle. Ihr Vater hob Margaret hoch, so dass sie die drei Bischöfe sah, deren Häupter mit Mitren gekrönt waren, ihnen folgten die Äbte und Prioren. Es folgten in ihren rot–blau–goldenen Amtstrachten der Bürgermeister und die Ratsherren der Stadt; hinter ihnen der Erzbischof von Dublin und der »Lord Deputy«, der königliche Stellvertreter Graf von Kildare, Kopf des mächtigen Fitzgerald–Clans und der mächtigste Mann von ganz Irland. Dann erschienen der »Lord Chancellor«, der Lordkanzler und der Schatzmeister, gefolgt von den höchsten Staatsbeamten und Adeligen. Und dann kam der Junge.

Er war nur ein kleiner Kerl, kaum älter als sie. Als Krone trug er einen Goldreif, der eigentlich der Strahlenkranz über der Statue der Heiligen Jungfrau war, auf dem Kopf. Und damit jedermann diesen neuen königlichen Knaben sehen konnte, hatte man einen Ehrenmann aus Fingal, einen gewissen Darcy, ausgewählt, einen Riesen von einem Mann mit einer Größe von sechseinhalb Fuß, und ihm den königlichen Jungen auf die Schultern gesetzt. Die Nachhut dieser Prozession bildeten zweitausend Landsknechte, deutsche Söldner, welche die Herzogin von Burgund aus den Niederlanden entsandt hatte. Sie trugen Furcht erregende Piken und marschierten zu Querpfeifen– und Trommelmusik.

Der Junge, Edmund Graf von Warwick, war nämlich eben zum König von England gekrönt worden und machte sich nun daran, sein rechtmäßiges Königreich einzufordern. Doch was war geschehen, dass er in Dublin gekrönt wurde?

Eine Generation zuvor, als das Königshaus York dem Hause Lancaster überlegen war, hatte einer der Prinzen von York viele Jahre lang Irland regiert und, was ungewöhnlich war für einen Engländer, sich sehr beliebt gemacht. Seitdem hatte es in weiten Teilen der irischen Bevölkerung und vor allem in Dublin eine Loyalität für die Yorks gegeben. Doch nun war das Haus York besiegt worden. Heinrich Tudor, der gemäß dem Recht des Eroberers die Krone innehatte, hatte seine Forderung nach der Königswürde damit begründet, dass seine Vorfahren, obwohl sie nur eine emporgekommene Adelsfamilie aus Wales waren, in das Haus Lancaster eingeheiratet hatten. Diese Begründung für den Anspruch auf die Thronfolge war recht wackelig; und obwohl der neue Tudor–König zur Stärkung seiner königlichen Position klugerweise eine Prinzessin aus dem Hause York geheiratet hatte, konnte er nicht unbesorgt gut schlafen für den Fall, dass andere, legitime Plantagenet–Erben auftauchen sollten.

Und vor einigen Monaten war plötzlich ein Erbe erschienen, der weit mehr Berechtigung auf den Thron hatte als Heinrich Tudor. Es war Edmund, Graf von Warwick, ein königlicher Prinz aus dem Hause York. Der Junge, der unter der Obhut eines Priesters stand, hatte Bestürzung am Tudor–Hof ausgelöst. König Heinrich hatte ihn auf der Stelle einen Hochstapler genannt. Er erklärte: »Sein richtiger Name ist Lambert Simnel.« Er sei der Sohn eines Oxforder Orgelbauers, und der sei tot. Heinrich präsentierte einen anderen Jungen, den er im Londoner Tower gefangen hielt, und verkündete, dies sei der wahre Edmund von Warwick. Das Problem war, dass zwei Verwandte von Edmund aus dem Hause Plantagenet – eine war die Herzogin von Burgund, eine York–Prinzessin –, die mit beiden Jungen Gespräche geführt hatten, zu dem Schluss gelangten, der Junge in der Obhut des Priesters sei der richtige Edmund und der andere, den Heinrich vorgestellt hatte, ein Schwindler. Um die Sicherheit des Jungen zu gewährleisten, hatte der Priester ihn nach Irland gebracht. Und heute war er gekrönt worden.

Der Zug hatte sich gerade auf der Straße in Bewegung gesetzt, als ein junger Mann sich zu Margaret und ihrem Vater gesellte. Der Vater fragte ihn freundlich: »Nun, John, hast du dich entschieden?«

Wie Margaret hatte ihr ältester Bruder John das rote Haar der Familie seiner Mutter geerbt, die eine Harold war. Während Margarets Schopf dunkel–, ja fast kastanienrot war, hatte John hellrotes Haar, das wie eine karottenrote Flamme seinen Kopf einrahmte. Der zwanzig Jahre alte, große und athletische Bruder erschien Margaret immer wie ein Held. Und heute mehr denn je. Letzte Woche hatten er und sein Vater nämlich darüber gesprochen, ob er sich dem Feldzug gegen England anschließen sollte. Und jetzt verkündete er: »Ja, Vater. Ich gehe mit ihnen.«

»Ausgezeichnet.« Der Vater nickte. »Ich habe mit einem Mann gesprochen, der Thomas Fitzgerald kennt. Das ist Kildares Bruder, musst du wissen«, erklärte er Margaret. »Wir wollen nicht, dass du als einfacher Fußsoldat mitziehst. Ich möchte hoffen, dass man meinem Sohn Beachtung schenkt.«

»Danke, Vater.« Ihr Bruder lächelte liebevoll.

»Du gehst nach England?«, fragte Margaret aufgeregt. »Um für diesen Jungen, diesen Edmund, zu kämpfen?«

Er nickte.

»Es ist richtig, dass du gehst, John«, sagte ihr Vater. »Mache deine Sache gut, und du wirst vielleicht belohnt.«

»Lasst uns hinter dem Zug hergehen«, rief ihr Bruder. Er setzte sich Margaret auf die Schultern und schritt über die Straße, während der Vater würdevoll neben ihnen herging. Und Margaret war glücklich und stolz, an diesem sonnigen Maimorgen auf den Schultern ihres Bruders zu sitzen, ähnlich wie der königliche Junge vor ihnen auf Schultern saß.

Nicht nur die Rivers waren voller Zuversicht. Innerhalb weniger Tage war das Parlament von Irland zusammengetreten, und die englischen Edelmänner und Repräsentanten der Kirche hatten begeistert die Krönung ratifiziert. Sie hatten sogar bestimmt, dass neue Münzen mit dem Kopf des Jungen geprägt werden sollten. Thomas Fitzgerald hatte neben den deutschen Landsknechten auch irische Söldner und junge Enthusiasten wie John um sich versammelt, so dass er noch vor Ende Mai seinem Bruder, Lord Kildare, mitteilen konnte: »Wir sind bereit, loszuziehen. Und wir sollten sofort losschlagen.« Nur ein einziger Misston erklang in diesen rauschhaften Tagen.

Neben den zwei mächtigen Grafschaften des Fitzgerald–Clans – Kildare in der Mitte des Pale und Desmond im Süden –, die die stärksten Gebiete waren, musste man mit dem dritten großen Gebiet, der Grafschaft von Ormond der Familie Butler, rechnen, die ebenfalls eine bedeutende Macht darstellte. Manchmal waren die Butlers und Fitzgeralds sich freundlich gesinnt, doch häufiger war das Gegenteil der Fall; und so überraschte es nicht, dass die Butlers neidvoll auf die Vorherrschaft der Fitzgeralds reagierten. Als also Heinrich Tudor den Thron vom Haus der Yorks übernommen hatte, dem die Fitzgeralds so freundlich gegenüberstanden, hatten die Butlers Heinrich rasch wissen lassen, sie schätzten sich glücklich, die Sache des Hauses Lancaster zu unterstützen.

Und als nun gerade das Parlament von Dublin sich für den königlichen Jungen ausgesprochen hatte, schickten die Butlers einen Boten des Grafen von Ormond. »Lord Ormond weigert sich, diesem Thronprätendenten zu huldigen, und erklärt all diese Vorgänge für illegal.«

Die Reaktion der Fitzgeralds folgte unmittelbar. Lord Kildare ließ den Boten zum Thingmount auf Hoggen Green bringen und erhängen.

»Das ist herb«, meinte Margarets Vater kopfschüttelnd. »Er war nur der Bote.« Doch Margaret erkannte in seiner Stimme klammheimliche Bewunderung. Zwei Tage später setzten Kildares Bruder Thomas und sein kleines Heer die Segel nach England und nahmen Margarets Bruder John mit.

* * *

Die Invasionsarmee des Königsknaben erreichte England am vierten Junitag des Jahres 1487. Auf ihrem Weg nach York schlossen sich ihnen einige Lords und deren Gefolgsleute an; rasch war ihre Anzahl auf sechseinhalbtausend Mann angewachsen.

Und der überrumpelte Heinrich VII. hätte womöglich sein Königreich verloren, hätten ihn nicht sofort mehrere englische Magnaten, die ihm Loyalität schuldeten, mit unerwartet großen Truppenkontingenten unterstützt. Am Morgen des 16. Juni stieß das Heer des Königsknaben in der Nähe des Ortes East Stoke in Mittelengland auf fünfzehntausend gut ausgerüstete und trainierte Krieger. Obwohl die deutschen Landsknechte im irischen Heer tödliche Armbrüste hatten, ließen die walisischen und englischen Langbogenschützen ununterbrochen Pfeile los, die wie ein Hagelsturm niedergingen. Gegen die weniger geübten und zumeist nicht geharnischten irischen Soldaten setzte Heinrich VII. versierte Pikeniers und Ritter in Rüstungen ein.

Das irische Heer wurde vernichtend geschlagen. Der königliche Knabe wurde gefangen gesetzt. Und nachdem er in Gewahrsam genommen war, kannte der Tudor–König kein Pardon. Auf dem Schlachtfeld war ein Graben, der seit jenem Tag »Red Gutter«, Rote Rinne, genannt wird, und der, wie es hieß, am Ende des Vormittags mit Blut gefüllt war. Denn die Engländer hackten beinahe alle Deutschen und Iren in Stücke.

Zum Glück wusste Margaret nur, dass ihr Bruder gefallen war.

Doch Heinrich Tudor war nicht nur unbarmherzig; er war auch geschickt. Den jungen Edmund, den er lebend gefangen hatte, tötete er nicht und warf ihn auch nicht ins Gefängnis. Heinrich beharrte weiterhin darauf, er wäre nur ein Prätendent namens Lambert Simnel. Er befahl ihm, in der königlichen Küche zu arbeiten, aus der er ihn manchmal fröhlich herbeirufen ließ, damit er bei Festen Gäste bediente. Während Heinrichs Regierungszeit und in den folgenden Jahrhunderten glaubte kaum noch jemand, dass der Junge der königliche Prinz war, der er wahrscheinlich tatsächlich war.

Margaret Rivers in Dublin aber spürte nur einen dumpfen Schmerz. Obwohl sie mit dem Stolz, Engländerin zu sein, aufgewachsen war, kam ihr der vage Gedanke, England sei ein feindliches und bedrohliches Land. Wie war es nur möglich, fragte sie sich, wenn es doch einen Gott im Himmel gab, dass der englische König ihr auf diese Weise den Bruder hatte nehmen können. Als sie jedoch etwas älter war und über die Ereignisse, die zu seinem Tode geführt hatten, nachsann, stellte sie eine neue, scharfsinnigere Frage.

»Wie kommt es, Vater, dass John getötet wurde und die Fitzgeralds ungestraft davongekommen sind?« Diese Frage traf den Kern der politischen Situation Irlands.

Als der Junge nämlich in Dublin zum König gekrönt wurde, hatte Kildare Oberhaupt der Fitzgeralds und als »Lord Deputy« König Heinrich Tudors Stellvertreter und Gouverneur der Insel, persönlich den Hochverrat angeführt. Die Butlers auf der anderen Seite waren loyal geblieben. Heinrich hatte Kildare verziehen, während die Butlers nicht einmal eine richtige Belohnung für ihre Mühen erhalten hatten.

»Die Fitzgeralds besitzen die größten Territorien. Sie sind mit so vielen Adelsfamilien und auch mit den bedeutendsten irischen Fürsten durch Heirat verwandt, dass sie mehr Männer und Begünstigungen fordern können als jeder andere Clan«, erklärte ihr der Vater. »Zudem liegt das Gebiet der Butlers, deren Macht auch riesig ist, zwischen zwei Grafschaften der Fitzgeralds – Kildare an ihrer nördlichen Grenze und Desmond im Süden. Wenn die Fitzgeralds wollten, könnten sie die Butlers zerquetschen. Daher, Margaret, ist von den beiden großen englischen Lordschaften Fitzgerald derjenige, der regiert. Und wenn der englische König versuchte, sie beide zu ignorieren, und seinen eigenen Regierungsmann aussendete, würden sie ihm bald das Leben so schwer machen, dass er aufgeben müsste.«

Und in ihren restlichen Kinderjahren erlebte Margaret genau dieses politische Muster. Selbst als Heinrich seinen zuverlässigen Abgeordneten Poynings schickte – der dem irischen Parlament frei heraus sagte, es könne keine Gesetze mehr ohne die Zustimmung König Heinrichs erlassen, und der sogar Kildare verhaftete, der dann nach London gebracht wurde –, machten ihm die Fitzgeralds das Regieren so schwer, dass auch er nach kurzer Zeit aufgab. Wieder in England sagte Poynings: »Ganz Irland kann nicht Kildare und seine Fitzgeralds regieren.« Heinrich VII. bemerkte daraufhin realistisch: »Wenn ganz Irland nicht Kildare regieren kann, dann sollte besser Kildare Irland regieren.« Und er setzte das Oberhaupt der Fitzgeralds wieder als seinen »Lord Deputy« ein.

»Kildare herrscht über Irland, Margaret«, sagte ihr Vater, »und so wird es immer sein.«

Margaret war dreizehn, als sie erfuhr, dass ihr Vater betrogen worden war. Es geschah eher zufällig.

Ihr Vater war zu Hause in Oxmantown gewesen, als ein Nachbar vorbeikam und fragte, ob er auf der anderen Flussseite dem Kampf zuschauen wolle, »den sich die Butlers und die Fitzgeralds bei Sankt Patrick liefern würden«?

»Ja, ich gehe mit«, sagte ihr Vater. Und er wäre sicherlich ohne Margaret gegangen, hätte sie ihn nicht so dringend gebeten, sie mitzunehmen. »Sollte sich auch nur die geringste Gefahr ergeben«, ermahnte er sie streng, »gehst du schnurstracks nach Hause.«

Vor der Sankt–Patrick–Kathedrale hatte sich schon eine größere Menschenmenge angesammelt. Sie waren alle heiter gestimmt, und Rivers erfuhr, der Kampf sei schon vorüber und die rivalisierenden Gruppen, die sich in der Kathedrale befanden, hätten einem Waffenstillstand zugestimmt.

»Es gibt nur ein Problem«, erklärte Rivers’ Nachbar. »Die Männer der Butlers stehen auf der einen Seite einer großen Tür und die der Fitzgeralds auf der anderen; doch die Tür ist verschlossen, und niemand hat den Schlüssel. Und bevor sie sich nicht die Hände geschüttelt haben, wird sich niemand von ihnen von der Stelle rühren, weil sie einander nicht trauen.«

»Wollen sie denn für immer dort ausharren?«, fragte der Vater.

»Nein, keineswegs. Sie wollen ein Loch in die Tür sägen. Und die ist sehr dick. Es wird also ein wenig dauern.«

Genau in diesem Augenblick sah Margaret das kleine Mädchen.

Es stand mit seiner Mutter ganz in der Nähe und mochte etwa fünf Jahre alt sein. Es trug ein helles, gemustertes Kleid; seine Augen waren dunkel, die olivbraunen Gesichtszüge fein geschnitten und zart. Es war die hübscheste kleine Person, die Margaret je gesehen hatte. Ein Blick auf die Mutter, eine kleine, elegante mediterrane Frau, erklärte das Aussehen des Kindes. Sie musste Spanierin sein.

»Vater«, rief sie. »Darf ich mit ihr spielen?«

Menschen mit spanischen Gesichtszügen traf man in Irland natürlich selten an. Die Leute nannten sie die »Black Irish«, die dunklen Iren. Eine Legende besagte, dass einige der frühesten Bewohner der Insel von der iberischen Halbinsel gekommen wären. Jedenfalls hatten die Handelsbeziehungen zwischen spanischen und irischen Hafenstädten zu einigen Mischehen geführt. Und dann waren da noch die regelmäßigen Besuche der großen spanischen Fischfangflotten, die seit Generationen an der Südküste der Insel reiche Fänge machten und vor allem vor den Ländereien der O’Sullivans und der O’Driscolls unten in West Cork festmachten. Schiffe dieser Flotten legten oft in den Buchten an, um ihren Fang in Salz einzulegen, und zahlten den Gutsbesitzern O’Sullivan und O’Driscoll eine Abgabe für dieses Privileg. Manchmal fand ein Seemann eine irische Liebste, ließ sich dort nieder oder hinterließ ein Kind.

Die spanisch aussehende Mutter hatte nichts dagegen, dass ihre kleine Tochter sich mit Margaret vergnügte. Joan, so hieß die Kleine, wandte die Augen nicht von dem älteren, rothaarigen Mädchen ab und war offensichtlich von ihr fasziniert. Dann rief der Vater Margaret zu sich zurück, weil es an der Zeit war, heimzukehren. Er lächelte der spanischen Frau und ihrer Tochter freundlich zu und wollte sich gerade umdrehen, als ein Hochruf der Menge ankündigte, dass sich in der Kathedrale etwas tat.

Die etwa zwanzig Männer der Fitzgeralds traten als Erste heraus und schritten auf das Stadttor zu. Kurz darauf erschienen die Butlers, die überwiegend in Richtung des Sankt–Stephen–Hospizes davoneilten; einer von ihnen jedoch bahnte sich in unmittelbarer Nähe der Rivers einen Weg durch die Menge. Es war ein gut aussehender, kräftig gebauter Mann mit schütterem braunem Haar und dem breiten Gesicht eines Engländers; als das kleine spanische Mädchen ihn plötzlich sah, rief es: »Papa« und warf sich in seine Arme. Margaret lächelte über diese rührende Wiedersehensszene. Zu ihrem Erstaunen jedoch verfinsterten sich die Blicke ihres eigenen Vaters bedrohlich.

»Wir gehen«, sagte er abrupt, nahm Margaret beim Arm und zerrte sie fast weg.

»Was ist denn los?«, fragte sie. »Ist das Joans Vater?«

»Ich hätte nie gedacht, dass sie seine Tochter ist«, murmelte er.

»Wer ist er, Vater?«

»Henry Butler«, antwortete er, und der Zorn in seiner Stimme warnte sie, ihm keine weitere Frage zu stellen.

Erst als sie die Brücke über den Fluss erreichten, brach er sein Schweigen.

»Vor vielen Jahren, Margaret, fiel ein recht beträchtliches Erbe zwei Cousinen in der Familie meiner Mutter zu. Meine Mutter wurde um ihren rechtmäßigen Erbteil betrogen. Mit der stillschweigenden Duldung von Ormond ging alles an die Mutter dieses Mannes, den du eben gesehen hast. Sein Name ist Henry Butler. Er stammt von einem niedrigen Zweig der Familie Butler ab, gehört aber noch zu den entfernten Verwandten des Grafen. Und er lebt von den Früchten dieses schönen Besitzes, der eigentlich mir zusteht. Daher verletzt und ärgert es mich, wenn ich ihn sehe.« Er schwieg einen Augenblick. »Ich habe dir nie davon erzählt, weil ich nicht gerne darüber spreche.«

Ein Erbstreit: Margaret hatte schon häufig von solchen Fällen gehört.

»Weiß Henry Butler, dass er dein Erbe hat?«

»Höchstwahrscheinlich«, entgegnete ihr Vater. »Ich habe diesen Mann nur ein einziges Mal getroffen. Kaum hatte er meinen Namen gehört, drehte er sich auch schon um und verschwand.«

»Joan ist süß«, sagte Margaret. Es machte sie traurig, dass dieses hübsche Kind die Tochter des Feindes ihres Vaters war.

»Sie hat dein Geld«, antwortete ihr Vater bitter.

Damit war das Thema beendet; doch in der Nacht, als ihre Mutter glaubte, sie schliefe, hörte Margaret ihre Eltern reden.

»Es ist schon so lange her«, hörte sie ihre Mutter sagen. »Denk nicht mehr darüber nach.«

»Aber deswegen bin ich doch gezwungen, für andere zu arbeiten, statt als Edelmann auf meinem eigenen Besitz zu leben.«

»Wir kommen doch gut über die Runden. Kannst du nicht zufrieden sein mit dem, was du hast? Eine Frau und Kinder, die dich lieben?«

»Du weißt, ich liebe meine Familie mehr als alles andere auf der Welt.« Er senkte die Stimme, so dass sie ihn nicht mehr verstehen konnte, dann sprach er wieder lauter. »Aber wie soll ich für sie sorgen? Henry Butler hat alles. Wo ist Margarets Mitgift, sag mir das? Das kleine spanische Mädchen hat sie.« Nach einer kurzen Stille hörte sie ihren Vater beinahe tränenerstickt sagen: »Oh, das ist so bitter.«

Margaret hielt sich die Ohren zu, und lange Zeit lag sie zitternd da, bis sie schließlich einschlief.

* * *

Als Margaret achtzehn wurde, fing ihr Vater an, einen Ehemann für sie zu suchen. Er begann in Fingal, wo englische Grundbesitzer auf riesige, gut bestellte Weizen– und Gerstenfelder schauten. Hier lebten die Fagans, Conrans und Cusacks, englische Adelsfamilien, die in die größten Dubliner Kaufmannsfamilien eingeheiratet hatten. Drei Familien, deren Ländereien an der Küste lagen, waren in Fingal besonders angesehen: Der Familie Sankt Lawrence gehörte die Landzunge von Howth; nördlich davon, an der nächsten Bucht, wohnte der irische Zweig der großen Aristokratenfamilie Talbot, und ganz in der Nähe lebten die Barnewalls. Diese Leute meinte ihr Vater, wenn er von Fingal sprach.

Manchmal nahm Rivers seine Tochter mit nach Fingal, wenn er aus geschäftlichen Gründen zu einem Gutsbesitz ritt, oder sie wurden zu einem Fest eingeladen. Vor zwei Jahren hatte Margaret das Glück, Freundschaft mit einer jüngeren Tochter der Familie Sankt Lawrence zu schließen. Fast ein Jahr lang waren die beiden unzertrennlich. Margaret ritt oft hinüber und blieb tagelang bei ihrer Freundin. Sie spazierten gemeinsam oberhalb der Liffey–Mündung am Strand entlang, und an sonnigen Tagen verbrachten sie Stunden auf der Landzunge und schauten nach Süden über die Bucht und an der Küste entlang bis zu den Vulkanbergen, die sich magisch im Dunst erhoben. Doch dann heiratete die Tochter der Sankt Lawrence und zog aus Fingal fort.

Manche mochten denken, Margarets Gesicht wäre ein wenig reizlos; doch wo immer sie auftauchte, drehten sich die Männer wegen ihres Haars nach ihr um. Es war von einem kräftigen Dunkelrot, das ihr – wenn sie es nicht hochsteckte wie ein leuchtender Vorhang über den Rücken fiel. Sie hoffte auch noch andere Reize zu haben: eine schöne Haut, eine hübsche Figur und ein lebhaftes Wesen. Aber sie machte sich nichts vor. »Wegen deiner Haare werden sie auf dich aufmerksam, Margaret«, sagte ihre Mutter zu ihr. »Alles Weitere hängt von dir ab.«

Die Gelegenheit, in Fingal auf sich aufmerksam zu machen, ergab sich in dem Sommer, als sie achtzehn Jahre alt wurde: Edward Talbot kehrte aus England zurück, wo er drei Jahre am königlichen Hof verbracht hatte. Nach allem, was man hörte, war er ein prächtiger junger Edelmann. Zu seiner Heimkehr wurde ein großes Willkommensfest in Malahide angekündigt, wo sich alles treffen würde, was Rang und Namen hatte. »Und wir werden selbstverständlich auch dort sein«, sagte Rivers mit einem triumphierenden Grinsen.

Wie war es ihm nur gelungen, eine Einladung zu diesem bedeutenden Ereignis zu erhalten? Margaret wusste es nicht. Doch die ganze nächste Woche half sie ihrer Mutter, ein hübsches neues Kleid aus grünem und schwarzem Seidenbrokat für sie zu schneidern.

Die Burg von Malahide erhob sich auf der anderen Seite der so genannten Ebene der Vogelscharen, auf einem Stück Land, das sich an die sanft geschwungenen Felder anschloss, die Jahrhunderte zuvor Harold der Nordländer bestellt hatte. Am nördlichen Rand des Guts, wo ein kleiner Fluss an prächtigen Austernbänken vorbei ins Meer mündete, lag Malahide, ein geschäftiger kleiner Ort. Die Burg selbst stand in einem schönen Park mit alten Eichen und Eschen. Als Margaret und ihr Vater näher kamen, schimmerte das Gemäuer in der sanften Nachmittagssonne.

Es war warm, und man hatte draußen lange Tische aufgestellt, an denen bereits zahlreiche Gäste saßen – Ratsherren, Adelige und königliche Staatsdiener aus Dublin. »Die Elite von Fingal«, raunte der Vater Margaret zu, »triff deine Wahl.«

Tatsächlich zog sie eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich. Machte sie ein paar Schritte, drehten einige Männer die Köpfe nach ihr um. Ihre Mutter hatte Recht: Das Zusammenspiel der grünen Seide mit ihrem roten Haar war perfekt. Ein distinguierter älterer Herr trat sogar auf Margaret zu, um ihr ein Kompliment zu machen – einer aus der angesehenen Familie Plunkett, wie ihr ihre frühere Freundin, die Lawrence–Tochter, verriet, die glücklicherweise auch zugegen war.

Das Bankett im Burgsaal war herrlich. Der Raum war zum bersten voll. Ihr Vater saß etwas entfernt von ihr, doch sie hatte fröhliche junge Menschen um sich herum. Drei Fischgange wurden serviert. Außerdem gab es Roastbeef am Spieß, Wild, Schweine– und sogar Schwanenfleisch. Mit Wein kannte sie sich zwar nicht besonders gut aus, doch sie wusste, dass die französischen Weine, die kredenzt wurden, vom Feinsten waren. Niemals zuvor war sie zu einem so opulenten Mahl geladen gewesen, und sorgsam befolgte sie den väterlichen Rat, von allem, was man ihr anbot, jeweils nur winzige Portionen zu genießen. Ein Pfeifer und ein Harfenist spielten auf, doch wegen der vielen Gäste gab es keinen Platz zum Tanzen. Als die Süßspeisen serviert wurden, erhob sich Edward Talbot, zu dessen Ehren dieses Fest stattfand, und hielt eine charmante Begrüßungsrede. Er war Anfang zwanzig, hatte ein ovales Gesicht und feine Gesichtszüge. Sein Haar war braun mit einer Spur ingwergelb und lichtete sich bereits; doch Margaret vermutete, dass die vornehm gewölbte Stirn ihn im Alter nur noch attraktiver machen würde.

Am Ende des Banketts traf sie wieder auf ihren Vater. Draußen war es noch immer hell, und eine Tanzgruppe sorgte für Unterhaltung. Einige Gäste standen zusammen vor der Burg und schauten zu, andere teilten sich in Grüppchen und spazierten umher. Nachdem der Vater sie gefragt hatte, ob sie den von Mauern umgebenen Garten schon kenne, und sie verneinte, führte er sie seitlich an der Burg vorbei zu einem Tor in einer Mauer und zog sie hinein. Der ummauerte Garten, in dem sie sich nun befanden, wies niedrige, gestutzte Hecken und grüne Lauben auf, wo edle Damen und Herren sich der Stille hingeben, lesen, reden oder miteinander tändeln konnten. Der süßliche Duft des Lavendels und des Geißblatts stieg Margaret in die Nase. Nur wenige andere Gäste waren hier und sprachen in gedämpftem Ton miteinander. Schweigend gingen die Rivers auf den Kräutergarten zu.

»Margaret, du bist ein großer Erfolg«, murmelte ihr Vater zufrieden. »Die Leute haben gefragt, wer du bist. Und tatsächlich hat mich ein Edelmann gebeten, mit dir sprechen zu dürfen, und darum habe ich dich hierher gebracht.« Er lächelte. »Er ist ein wenig älter, als ich es mir gewünscht hätte, aber es kann nicht schaden, wenn du mit ihm sprichst. Mache einen guten Eindruck, und er wird gut von dir sprechen. Willst du das für mich tun?«

»Ich werde tun, was du wünschst, Vater.«

»Bleibe hier, ich werde ihn suchen«, sagte er und ging zum Tor hinaus.

Margaret betrachtete nun genauer den Kräutergarten. Sie war so vertieft in den Anblick der Pflanzen, dass sie gar nicht wahrnahm, wie hinter ihr jemand erschien. Erst ein leises Hüsteln sorgte dafür, dass sie sich umdrehte. Vor ihr stand ein junger Mann, den sie sofort als Edward Talbot erkannte.

»Mögt Ihr Kräuter?«, fragte er.

»Ich war gerade dabei, sie zu zählen.«

»Ach.« Er lächelte. »Wie viele kennt Ihr mit Namen?«

»Dort stehen Thymian, Petersilie natürlich, Minze, Basilikum, Muskatnuss…«

»Und was ist mit dem hier?« Edward Talbot deutete auf ein Kraut, das sie nicht kannte. »Es stammt aus Persien«, erklärte er. Er schritt das Beet weiter ab und zeigte ihr Kräuter aus Frankreich, Afrika und dem Heiligen Land. Dabei offenbarte er sein Wissen über diese Pflanzen mit so viel Humor, Intelligenz und Begeisterung, dass Margaret, statt eingeschüchtert zu sein, voll Vergnügen lächelte.

Schließlich fragte er sie, wer sie sei, und Margaret konnte ihm reichlich Auskunft über ihre Familie und Verwandtschaft in Fingal geben, so dass er feststellte, dass sie mit einigen Leuten, die er kannte, verwandt war.

»Vielleicht sind ja auch wir verwandt«, sagte er.

»Oh nein. Wir sind nicht so vornehm. Und was mich betrifft, so sagen mir meine Eltern immer wieder, dass mein einziger Vorzug mein Haar sei.«

»Ich bin sicher, Ihr habt noch andere.« Und während er ihr Haar mit derselben Aufmerksamkeit betrachtete wie zuvor die Kräuter, bemerkte er nachdenklich: »Es ist wirklich sehr schön. Einfach wunderbar.« Unwillkürlich hob er seine Hand, als wolle er ihr durchs Haar streichen, doch dann zügelte er sich und lachte. Sie fragte sich, wohin dieses Gespräch noch geführt hätte, wäre nicht in diesem Augenblick ihr Vater wieder am Tor aufgetaucht und auf sie zugetreten. Er war allein. Offenbar hatte er den Mann, den er suchte, nicht gefunden.

Es freute sie zu sehen, wie höflich Talbot ihren Vater begrüßte. Als er dem jungen Mann einige kluge Fragen zu seinem Englandaufenthalt stellte, antwortete dieser mit größtem Vergnügen. Zwischen den beiden Männern hatte sich gerade ein interessantes Gespräch entsponnen, als eine vornehme Dame auf sie zutrat. Sie trug ein Kleid aus weiß–goldenem Damast, das bei jedem ihrer Schritte über den Weg raschelte.

»Ach, Mutter«, sagte Edward Talbot. Und er wollte ihr gerade Margaret vorstellen, als sich die Dame an Margarets Vater wandte und ihn kühl fragte: »Ist das Eure Tochter?«

Lady Talbot war groß und wirkte sehr energisch. Ihre grauen Augen schienen aus großer Höhe auf die Welt herabzublicken.

»Ja, Mylady. Das ist Margaret.«

Lady Talbot betrachtete sie auf dieselbe nüchterne Art und Weise, wie sie ein Möbelstück angesehen hätte.

»Ihr habt sehr schönes Haar.« Es klang beinahe so, als wolle sie sagen: sonst keine weiteren Vorzüge. Dann wandte sich Lady Talbot an ihren Sohn. »Dein Vater sucht dich, Edward. Du solltest dich den Gästen vom Dublin Castle widmen.«

Edward Talbot verneigte sich leicht vor ihrem Vater, warf Margaret ein Lächeln zu und entfernte sich. Lady Talbot jedoch rührte sich nicht von der Stelle. Sie wartete, bis Edward den Garten verlassen hatte, drehte sich dann wieder zu Margarets Vater und sprach mit größter Kälte zu ihm, als wäre sie gar nicht da.

»Wie viele Eurer Verwandten habt Ihr gebraucht, um eine Einladung für den heutigen Tag zu erhalten?«

»Ich glaube, Mylady, einige meiner Verwandten sind Euch bekannt.«

»Ihr kamt her, um Eure Tochter in dieser Welt zur Geltung zu bringen.«

»Ich bin ihr Vater, Mylady. Was sonst sollte ein Vater tun?«

»Ich habe eingewilligt, dass Ihr eingeladen werdet, obwohl Ihr von Rechts wegen nicht hier sein solltet. Ich habe eingewilligt, dass Eure Tochter und ihr Haar hier gesehen werden.« Sie hielt inne. »Aber ich habe nicht eingewilligt, dass Ihr herkommt, damit Eure Tochter versucht, sich bei meinem Sohn einzuschmeicheln. Ihr habt mein Vertrauen missbraucht.«

Dieser Vorwurf war so erschütternd, dass einen Moment lang weder Vater noch Tochter etwas sagten, bis Margaret herausplatzte: »Ich habe kein Wort mit Eurem Sohn gesprochen, bevor er auf mich zukam.«

Die steingrauen Augen nahmen sie wieder ins Visier.

»Das mag richtig sein«, räumte die Dame ein. Sie wandte sich wieder an Margarets Vater. »Aber vielleicht wisst Ihr mehr als Eure Tochter.«

Margaret sah ihren Vater an. Hatte er womöglich dieses Zusammentreffen arrangiert? War er nicht weggegangen, um einen älteren Freier zu suchen, sondern um Edward Talbot zu ihr zu schicken? Angesichts Lady Talbots frostiger Anklage war Margaret sehr froh, dass er nicht errötete oder aufbrauste, sondern ganz gelassen blieb.

»Ich habe meine Tochter nicht hergebracht, damit wir beleidigt werden«, entgegnete er ruhig.

»Dann bringt sie nie wieder hierher«, antwortete Lady Talhot scharf. Und zu Margaret gewandt: »Sucht Euch einen Kaufmann in Dublin, Fräulein Rotschopf. Ihr gehört nicht in die Burg von Malahide.« Und damit rauschte sie davon.

Auf dem Rückweg verspürten weder Margaret noch ihr Vater große Lust zu reden. Die Abendsonne warf noch immer lange Schatten auf die Ebene der Vogelscharen, während ihr Wagen durch die grüne leere Landschaft rollte. Obgleich Margaret sich fragte, ob Lady Talbots Anklage wahr sein könnte, wollte sie ihren Vater nicht danach fragen. Schließlich war er es, der das Schweigen brach.

»Es liegt nicht an unserer Familie, dass sie so gesprochen hat. Du weißt, ich bin ein Edelmann.«

»Ich weiß.«

»Nur weil ich arm bin, Margaret, hat sie dich so behandelt.«

Er klang verbittert, doch sein Kopf senkte sich vor Scham. Sie legte einen Arm um ihn.

»Danke, Vater, für das, was du für mich tun wolltest«, sagte sie sanft. »Du bist ein wundervoller Vater.«

»Wenn ich es doch nur wäre.« Er schüttelte den Kopf und begann zu schluchzen.

»Das ist doch alles nicht so wichtig«, sagte sie nach einer Weile.

»Diese Talbots sind nicht so vornehm«, stammelte er schließlich. »Man sagt, sie seien mit den Butlers über Kreuz. Wahrscheinlich werden sie scheitern. Wir tun besser daran, uns an die Barnewalls zu halten.« Seine Stimmung schien sich ein bisschen aufzuhellen. »Du weißt, sie sind entfernte Verwandte.«

»Ach, Vater«, brach es enttäuscht aus ihr heraus. »Um Gottes willen, suche mir einen Jungen in Dublin, der mich so liebt, wie ich bin.«

Und in diesem Augenblick und später am Abend, als sie mit heimlichen Tränen zu Bett ging, war das wahrhaftig alles, was Margaret sich wünschte. Aber als sie am nächsten Morgen aufwachte, verspürte sie ein für sie neues Gefühl der Auflehnung. Die stolzen Talbots lehnten sie ab, aber sie würde es ihnen zeigen.